Folge 4: Interview mit der Case Managerin der Suva

Trotz aller Mühen und aller Vorsicht: Ein Arbeitsunfall kann nie ausgeschlossen werden. In dieser Serie stellt die «electrorevue» Ihnen den Fall von Roman Pulvermüller vor. In vier Folgen beleuchten wir den Fall von verschiedenen Seiten, um Ihnen zu erläutern, was nach einem solchen Unfall geschieht.

Marlene Meier, Case Managerin der Suva und persönliche Betreuerin von Roman Pulvermüller.

Durch den tragischen Unfall von Roman Pulvermüller haben wir erfahren, dass sich die Suva des Falles, aber auch des Menschen Roman Pulvermüller angenommen hat. Sie stellte dem Verunfallten eine persönliche Case-Managerin zur Seite. Diese begleitet Pulvermüller seitdem in allen Belangen, die seinen Unfall betreffen.

Sie sind eine Case-Managerin, was für ein Berufsbild ist das? Was sind Ihre Kernkompetenzen?
Als Case-Managerin betreue ich schwer verunfallte Personen und begleite sie in medizinischer Hinsicht wie auch bei der beruflichen Wiedereingliederung unter Beizug der IV und anderer Netzwerkpartner. Zudem prüfe und richte ich sämtliche Versicherungsleistungen aus. Als Kernkompetenzen benötige ich sowohl Sozialkompetenz als auch Fachkompetenz im Versicherungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt.

Wie sieht die Erstbetreuung aus? Was hat erste Priorität und Notwendigkeit? Wie werden die Patienten konkret betreut, auch psychisch?
Ein Case-Manager übernimmt so schnell wie möglich die Betreuung des Verunfallten. Wir setzen uns raschestmöglich mit dem Versicherten oder seinen Angehörigen in Verbindung und bieten unsere Hilfe an. Insbesondere die Organisation der medizinischen Betreuung ist wichtig inklusive Kostengutsprachen sowie die Aktivierung oder Organisation allfälliger Netzwerkpartner oder externer Betreuer (Psychologen usw.). Auch kontaktieren wir den Arbeitgeber so bald wie möglich.

Betreut die Suva auch Arbeitgeber, Arbeitskollegen und Familie der Unfallopfer?
Ja, das ist so. Mit dem Case-Management konzentriert sich die Suva auf die Betreuung von Verunfallten, die wegen eines Unfalls nicht an den bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren können. Dabei wird aber nicht nur für den Verunfallten die bestmögliche Lösung gefunden. Es werden auch Familie, Freunde und Arbeitsumfeld miteinbezogen und unterstützt.

Wie eng ist der Kontakt, wie grenzen Sie sich ab und wie verkraften Sie den Umgang mit solch schweren Schicksalen?
Der Kontakt ist sehr individuell, je nachdem, wie eng der Versicherte den Kontakt wünscht oder sich darauf einlässt. Es gilt, vor allem eine Vertrauensbasis aufzubauen. Diese muss aber immer noch in einem «geschäftlichen Rahmen» bleiben. Man muss versuchen, sich abzugrenzen, das gelingt aber nicht in jedem Fall gleich gut. Wichtig ist der Austausch (zum Beispiel mit anderen Case-Managern oder mit dafür konzipierten Arbeitsinstrumenten wie der Intervision) und dass wir über die Fälle sprechen können.

Die Suva begleitet die Betroffenen oft ein ganzes Leben lang. Da erleben Sie als Case-Managerin sicher auch sehr viel Positives. Was macht Ihnen diesbezüglich am meisten Freude?
Am schönsten ist es, wenn ich einen Versicherten erfolgreich eingegliedert habe und vernehme, dass der Unfall eine Chance war, um das Leben grundlegend zu ändern, und der Versicherte heute zufrieden ist.

Hat der Bereich der Elektrizität spezielle Anforderungen oder andere Besonderheiten aus Sicht der Suva?
Der Bereich der Elektrizität ist durch das Elektrizitätsgesetz (EleG) und die Niederspannungsverordnung, welche die Ausführungsbestimmungen zum Elektrizitätsgesetz (EleG) enthält, streng geregelt. Das Elektrizitätsgesetz enthält neben der grundsätzlichen Anforderung, dass elektrische Anlagen sicher sein müssen, vor allem Vorschriften, wie diese Sicherheit gewährleistet und kontrolliert werden soll. Eine Besonderheit ist, dass die Unfallabklärungen nicht durch die Suva, sondern durch das ESTI (Eidgenössisches Starkstrominspektorat) durchgeführt werden. Sämtliche Elektrounfälle müssen per Gesetz dem ESTI gemeldet werden. Die Suva kann zusätzlich das ESTI beauftragen, einzelne Elektrounfälle, welche die Suva im Besonderen interessieren, abklären zu lassen.

Wie fliessen die Erkenntnisse solch tragischer Unfälle in die Prävention ein?
In einer jährlichen Sitzung von ESTI und Suva werden die Unfälle diskutiert und mit den bestehenden Vorschriften und Publikationen verglichen. Es wird beurteilt, ob diese angepasst oder ergänzt werden müssen oder ob ein neues Dokument erstellt werden muss. Bei unseren Arbeitsplatzkontrollen und Gesprächen mit Branchenvertretern werden diese Erkenntnisse weitergegeben. Falls bei unseren Arbeitsplatzkontrollen ähnliche Situationen erkannt werden, so werden Sofortmassnahmen zur Verhinderung ähnlicher Unfälle veranlasst.

Inwiefern spielt die Frage nach der Schuld eine Rolle bei der Arbeit der Suva?
Ganz generell sucht die Suva keine Schuldigen, sondern will wissen, wie es zu dem Unfall kam, damit in Zukunft geeignete Vorsichtsmassnahmen getroffen werden können. Für die Höhe der Versicherungsleistungen spielt höchstens das Verschulden der verunfallten Person eine Rolle, insbesondere im Bereich der Nichtberufsunfälle. Ein allfälliges Fremdverschulden hat keine Auswirkung auf die Höhe der Versicherungsleistungen.