Folge 1: Der Arbeitsunfall

Trotz aller Mühen und Vorsicht, ein Arbeitsunfall kann nie ausgeschlossen werden. In dieser Serie stellt die electrorevue Ihnen den Fall von Roman Pulvermüller vor. In vier Folgen beleuchten wir den Fall von verschiedenen Seiten, um Ihnen zu erläutern, was nach einem solchen Unfall geschieht.

Gut elf Jahre ist es her. Der vorangehende Sommer war einer mit starken Regenfällen und auch Überschwemmungen. In einem Stahlwerk richteten verheerende Überschwemmungen an den Trafostationen untertags derart grosse Schäden an, dass sie in einem Neubau auf Höhe Erdgeschoss neu erstellt werden mussten. Den Zuschlag bekam ein Unternehmen in der näheren Umgebung von Zürich. Roman Pulvermüller, begeisterter Netzelektriker, damals 24-jährig, durfte für diese Firma bei diesem grossen Projekt mitarbeiten und war auch involviert, als die Trafos angeschlossen und getestet wurden. Alles klappte reibungslos. Eine hervorragende Arbeit war im Februar, an einem Donnerstagabend, beinahe beendet.

Am nächsten Tag, einem Freitag, galt es nur noch Unterlegscheiben gegen die Selbstlockerung durch Vibration anzubringen. Pulvermüller machte sich an die Arbeit, in jeder Hand ein Werkzeug und legte an: Das absolut Schlimmste trat ein! Die Station stand unter Strom – 6400 Volt durchflossen den Körper von Pulvermüller, verkrampften seine Muskeln, verunmöglichten jeden Hilferuf und verbrannten seine Hände. Jetzt ist eingetreten, was nie hätte geschehen dürfen, schoss es Pulvermüller durch den Kopf und er hatte im ersten Moment grosse Angst um seine inneren Organe. Geistesgegenwärtig liess er sich rückwärts fallen und konnte sich so nach etwa 30 Sekunden selbst vom Stromkreis befreien. Seine Hände brannten wie Feuer und er schrie. Nach unendlichem Bangen kam endlich Hilfe. Schmerzmittel wurden verabreicht, Pulvermüller wurde erstversorgt und ins Kantonspital Luzern gefahren. Von dort ging es gleich per Heli weiter ins Universitätsspital Zürich auf die Intensivstation für Verbrennungsopfer.

Eine lange Leidenszeit folgte: Erst wurden die schweren Verbrennungen an den Händen beinahe täglich unter Vollnarkose gesäubert. Nach einer Woche dann der vernichtende Bescheid: Die linke Hand muss amputiert werden. Zahlreiche Operationen, davon Haut- und Knochenverpflanzungen, sogenannte Lappenplastiken, folgten. Ein schmerzlicher Leidensweg. Auch psychisch. Dankbarkeit machte sich bei Pulvermüller trotzdem breit. Er fühlte sich durch seine Familie und seine Freunde enorm getragen. Seine positive Haltung, sein Mut und sein ungebrochener Lebenswille gaben ihm Kraft, all das Leiden hinzunehmen, es zu verarbeiten und auch über den Verlust der funktionierenden Hände zu trauern.

Nach etwa einem Monat intensivster Pflege wurde Pulvermüller vom Spital in die Suva-Rehaklinik Bellikon verlegt. Nun hiess es, sich den neuen Herausforderungen stellen mit dem Ziel, Selbstständigkeit zu erlangen. Sport, Physiound Ergotherapie bestimmten seinen Alltag. Er entschied sich bewusst für einen ETD Hook (ETD Electric Terminal Device Hand Prosthesis) und gegen eine Silikonhand. Offensichtlich sollte der Verlust der Hand sein und nicht hinter einer weniger gut einsetzbaren künstlichen Hand versteckt werden. Ein steiniger Weg. Doch Pulvermüller gab nie auf und lernte in vielen Schritten mit der Situation klarzukommen.

Noch im selben Jahr packte er seine Sachen und flog zum Snowboarden nach Amerika. Er musste einfach mal raus in die Natur und weg von allem.